AD(H)S ist kein Trend, sondern meine Realität.
Es gibt Themen, über die ich eher weniger in der Öffentlichkeit spreche aber es gibt Artikel, die so dermaßen triggern, dass mir der Kragen platzt. So, wie der aktuelle SPIEGEL-Artikel über AD(H)S, der von "Masseneinbildung", "Modeerscheinung" und "schwankenden Krankheitskarrieren" spricht.
Meine Diagnose
Meine ADS-Diagnose, über die ich bisher noch nie öffentlich gesprochen habe, ist erst zwei Jahre alt, war aber immer schon da - als Kind in der Schule, als junge Mutter von drei Söhnen, während meines kompletten beruflichen und privaten Neustarts, in Jobs, beim Schreiben meiner Bachelor-Arbeit und meines Buches. Meine ADS war die Achterbahn, das Karussell, der schwarze Tunnel, das fröhliche Eichhörnchen, die Regenwolken oder der strahlende Himmel in mir drin und um mich herum, den ich lange nicht benennen konnte, dessen Einfluss ich aber ständig spüren durfte und der mir sehr oft zum Verhängnis in vielen Bereichen meines Lebens wurde!
Es war der Stempel der "Unkonzentriertheit", "Zerstreutheit" oder der "Faulheit", der mir von Außen aufgedrückt wurde und den ich vier Jahrzehnte einfach akzeptieren musste. Was das mit einem Menschen machen kann? So einiges! Und dann kommt dieser Artikel um die Ecke und tut so, als würde man sich diesen Stempel aus Lust an der Andersartigkeit aufdrücken. Dabei ist AD(H)S eine verdammte Herausforderung. Und vor allem ist es eine Realität.
Was ich heute definitiv sagen kann: Mir hat meine Diagnose geholfen, mich selbst besser zu verstehen, ich habe gelernt, meine Lebensstrukturen anzupassen, meine Energien anders einzuteilen und bewusster mit meinen Bedürfnissen umzugehen. Und eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich war es, dass klassische Angestelltenstrukturen für mich nicht so einfach funktionieren, wie für andere Menschen, und zwar nicht, weil ich nicht will oder nicht fähig wäre, sondern weil die Art und Weise, wie Unternehmen organisiert sind, oft nicht kompatibel mit einem neurodivergenten Gehirn ist. Dabei ist das Problem nicht, dass es AD(H)S gibt, sondern wie unsere Gesellschaft damit umgeht.
AD(H)S Gehirne funktionieren nicht falsch. Sie funktionieren anders.
- Was wäre, wenn genau dieses Anderssein seinen Platz in unserer Welt hätte?
- Was wäre, wenn die Gesellschaft, einen Raum für neurodivergente Menschen und für die unterschiedlichsten Denk- und Arbeitsweisen schaffen würde?
Das wäre kein Traum, sondern ein Gewinn für uns alle.
Auch wenn dieser Artikel viele Menschen verunsichern mag, die ihre Diagnose gerade erst erhalten haben oder darüber nachdenken, sich testen zu lassen, hoffe ich sehr, dass er niemanden davon abhält, sich selbst besser kennenzulernen. Für mich war die Diagnose vor zwei Jahren keine Last, sondern der fehlende Schlüssel zu mehr Verständnis für mich selbst und einem bewussteren Leben.