Vielleicht müssen wir endlich weniger übers Kopftuch reden…

 

… und viel mehr darüber, welchen Menschen wir eigentlich das Recht zugestehen, selbst zu entscheiden.

"Nicht das Kopftuch ist das Problem.
Nicht die Frauen, die es tragen.
Das Problem ist der Zwang.
Der Zwang, es zu tragen oder es abzulegen.
Und dieser Zwang ist fast immer männlich."

Diese Zeilen gehören zum Beitrag von Erdal Uğur Ahlatçı und seit ich sie gelesen habe, denke ich darüber nach, wie ich meine zwei cents zu diesem Thema beitragen kann, ohne in irgendeine Ecke gestellt zu werden.

Ich war 11 Jahre, als ich anfing das Kopftuch zu tragen. Nicht aus Zwang. Eher aus einer gelebten Religiösität und subtilen Erwartung meines Umfelds heraus. Aufgewachsen bin ich in einer muslimischen Familie, mit Eltern, die mir und meinen jüngeren Brüdern auf eine unfassbar liebevolle Art ein Vorbild im Hinblick auf Menschlichkeit waren.

Was ihnen damals fehlte: der kritische Umgang mit Regeln und Traditionen.
Was ihnen nicht fehlte: der Wunsch, das Beste für ihre Kinder zu wollen.

Ausser ihrer ausgeprägten Gutgläubigkeit, könnte ich meinen Eltern bis heute nichts vorwerfen.

22 Jahre später, mit vielen großen Ereignissen dazwischen, die in diesem Post den Rahmen sprengen würden, entschied ich, das Kopftuch auszuziehen. Die Reaktionen reichten von Ablehnung bis Applaus!

Bis heute bekomme ich regelmäßig die Frage gestellt, ob ich denn gegen das Kopftuch bin. Meistens von Menschen, die ihre populistische Agenda bedienen und meine Stimme als Bestätigung möchten.

Aber sie bekommen sie nicht!

Denn ich bin nicht gegen das Kopftuch.
Ich bin gegen Fremdbestimmung.
Ich bin gegen Kritikunfähigkeit.
Ich bin gegen dogmatischen, unreflektierten und blinden Eifer.
Ich bin gegen Bewertung und Beurteilung.

Wofür ich bin?
Für Selbstbestimmung.
Für Reflexion.
Für ein Miteinander.
Für Respekt.
Für selbstgewählte Freiwilligkeit.

Das alles geht mit und ohne Kopftuch.

Es geht nur nicht ohne die Fähigkeit des eigenverantwortlichen Denkens.
Und die wird einem nicht in die Wiege gelegt. Die muss man sich erarbeiten.

Und vielleicht müssen wir endlich alle weniger über das Kopftuch reden und viel mehr darüber, welchen Menschen wir eigentlich das Recht zugestehen, selbst zu entscheiden.

Last but not least, sowohl meine drei Söhne, als auch meine fünf Brüder, meine Eltern und der Rest meiner Familie lebt auf so unterschiedliche Art und Weise den Glauben und das Leben. N i e m a n d in meiner engsten Familie urteilt oder verurteilt. Stattdessen reden wir miteinander, hören einander zu und lieben und respektieren uns. Für das wie wir sind und wie wir denken.
Weil wir uns gegenseitig bereichern und lieben!

Was Erdal übrigens in seinem Beitrag beschreibt, kann ich zu 100% unterschreiben. Egal wofür sich meine Kinder entscheiden, wie sie leben, wen sie lieben, was sie machen oder nicht machen, NICHTS würde meine Liebe zu ihnen in irgendeiner Weise beeinflussen! Denn sie ist nicht an Bedingungen geknüpft. Und was bedingungslose Liebe w i r k l i c h bedeutet, habe ich ganz besonders durch meine eigenen Kinder lernen dürfen.

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“Dein Dabeisein verändert, wie wir denken, entscheiden und handeln.”

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Mitgefühl, Verständnis und Solidarität